Triest: Hier zu sein ist wunderschön
Höhenwege mit Meerblick, die grauen Felsen der Karstberge, romantische Schlösser auf Steilklippen und eine Hafenstadt mit prächtigen Palazzi und historischen Kaffeehäusern. Das Genusswandern in der nordöstlichsten Ecke Italiens gefiel schon dem Dichter Rainer Maria Rilke.
Erfasst von Jochen Ihle, Wandermagazin Schweiz
17. Juni 2019
«Sie sollen wissen, wo ich bin: bei meinen Freunden, in diesem immens ans Meer hingetürmten Schloss, das wie ein Vorgebirg menschlichen Daseins mit manchen seiner Fenster in den offensten Meerraum hinaussieht, unmittelbar ins All möchte man sagen…» Wohl keiner beschreibt die Lage von Schloss Duino so treffend wie Rainer Maria Rilke. Der Dichter weilte 1911/12 als Gast der Fürsten von Thurn und Taxis in deren Schloss nahe Triest. Auf Spaziergängen fand er Inspiration für die Verse seiner «Duineser Elegien». Ein schwieriges Werk. «Die Duineser Elegien versteht man nie ganz», beruhigt mich Franz, einer in unserer Wandergruppe. Franz muss es wissen, schliesslich war der aktive Pensionär 38 Jahre lang Lehrer für Deutsch und Kulturgeschichte an der Berufsschule in Olten. Und so halte ich mich an ein ganz banales Rilke-Zitat: «Hier zu sein ist wunderschön», soll er über Duino gesagt haben. Wer möchte ihm widersprechen? Schon der Weg dorthin ist ein Erlebnis. Auf dem «Sentiero Rilke» sind wir von Sistiana an der Küste entlang bis zum Schloss gewandert. Links das Meer und die Steilklippen, rechts Gestrüpp und wilde Macchia. Lieblicher Kontrast dann der farbenprächtige Schlossgarten von Duino, eine Wucht die Aussicht vom Turm, über Mauern und Balustraden hinweg; und wenn man dann «aus allen den sicheren Toren austritt, hebt sich, nicht weniger unwegsam denn das Meer, der leere Karst», wie Rilke schreibt.
Kalk und Karst
Die Karstlandschaft bei Triest – charakteristisch ist das schroffe, zerklüftete Kalkgestein – zeichnet sich durch Dolinen, Grotten, steile Kliffe und steinige Wege aus. Einer führt ins Val Rosandra, zur Ortschaft Bottazzo, bei der ein 30 Meter hoher Wasserfall über die Felsen stürzt und hinter der gleich Slowenien beginnt. Ein anderer, der Geminaweg, ist eine alte römische Strasse; von Trockensteinmauern gesäumt, schlängelt er sich an Rebbergen und Obstwiesen vorbei von Dorf zu Dorf. Dort kehrt man in den Osmize ein. Das sind einfache, temporär geöffnete Bauernschenken. Auf den Tisch kommen Brot, Eier, Würste, Käse und lokale Weine. Da bleibt man gerne etwas länger sitzen, auch wenn wanderbare Gipfel locken. Der Monte Lanaro ist so einer. Ein Waldpfad führt uns bergauf durch ein Naturschutzgebiet, dann plötzlich Weite und freie Sicht. Auf dem höchsten Punkt steht eine hölzerne Aussichtsplattform, als sei der Rundumblick vom Gipfelplateau nicht schon grandios genug: Von Slowenien bis nach Istrien reicht das Panorama.
Und dann wieder so ein Küstenpfad: Hoch über dem Golf von Triest wandern wir zur Wallfahrtskirche auf dem Monte Grisa, durch das Karstdorf Prosecco und weiter zum Castello di Miramare. Ein Traumschloss, gebaut aus weissem Kalkstein. Zwar nicht so alt wie Duino, aber auch direkt am Meer gelegen mit einem weitläufigen Garten. Erzherzog Ferdinand Maximilian von Österreich liess es zwischen 1856 und 1860 für sich und seine Frau Charlotte bauen, im damals beliebten Historismus. So bestaunen die Schlossbesucher von heute einen Stilmix von Mittelalter bis Wiener Klassizismus. Was auch auf die Hafenstadt Triest selbst zutrifft, die gerne als «Wien an der Adria» bezeichnet wird. Wer mit dem Schiff vom Meer herkommt, den empfängt die Stadt mit offenen Armen: Auf dem Stadthügel Colle di San Giusto thronen die Kathedrale und die mittelalterliche Burg, zu ihren Füssen reihen sich die hellen Fassaden der Palazzi aneinander und öffnet sich die Piazza dell’Unità d’Italia, wo man sich im Caffè degli Specchi zum Prosecco trifft. Doch auch Spaziergängern eröffnet sich dieses Panorama: Der Hafenpier Molo Audace ragt wie ein Laufsteg 200 Meter ins Meer hinaus, er ist Flanierzone und Aussichtspunkt gleichermassen. Romantiker gehen am Abend dort hin. Dann taucht die untergehende Sonne die Stadtsilhouette in leuchtende Rot- und Orangetöne.
Beliebte braune Bohne
Durch Triest sollte man sich treiben lassen. Und diese Wanderreise lässt uns Zeit dazu. Am Vormittag noch zwischen Küste und Karst unterwegs, spazieren wir am späten Nachmittag durch die Gassen. Man könnte sich der Stadt auf diversen Themenwegen nähern und zum Beispiel auf Römerspuren wandeln. Ausgrabungen haben Teile der Römerstadt Tergeste ans Tageslicht gebracht, etwa das Teatro Romano und Mauern und Säulen der Basilika. Schöner ist es aber, an irgendeiner beliebigen Ecke zu beginnen und sein eigenes Triest zu entdecken. Lebhaft geht es im Stadtteil Borgo Teresiano zu, wo wir am Canal Grande entlang bummeln, einst als Transportweg zum Meer hin angelegt, heute ein beliebter Treffpunkt. Den Kanal säumen prächtige Handelsgebäude, Kirchen, Museen und Cafés.
Angeblich wird ja nirgendwo sonst in Italien mehr Kaffee getrunken als in der Hauptstadt der Region Friaul-Julisch Venetien. Das hat mit ihrer Geschichte zu tun. Triest gehörte von 1382 bis 1918 zum Habsburgerreich und wurde unter Kaiserin Maria Theresia zu Österreichs einzigem Seehafen ausgebaut. Kaffeelieferungen aus aller Welt kamen (und kommen) mit grossen Schiffen hier an. Und 1933 gründete Francesco Illy in Triest das heute weltbekannte Unternehmen illycaffè. Am Hauptsitz der Firma in der Via Flavia gibt es sogar eine Kaffee-Universität.
Die Kaffeehäuser haben in Triest also eine lange Tradition. Das älteste ist das Caffè Tommaseo, eröffnet 1830. Zeitzeugen sind auch das Caffè Stella Polare, das Caffè Torinese und das Caffè San Marco. Literaten-Cafés werden sie genannt, sind ihre Namen doch untrennbar mit denen von bekannten Schreibern verbunden. Viele Schriftsteller, die in Triest geboren wurden oder hier lebten, feilten in den Cafés an ihren Texten; etwa Italo Svevo, Umberto Saba oder James Joyce. Den dreien begegnet man nicht nur beim Stadtrundgang – als Denkmäler in Bronze gegossen –,sondern auch im Caffè San Marco, wo ihre Werke im hauseigenen Buchladen aufliegen. Wie eine Zeitreise erscheint der Aufenthalt in dem 1914 eröffneten Kaffeehaus: Jugendstil-Interieur, dunkler Tresen, eine verzierte Decke, Spiegel und Marmortischchen. Am Abend wird das «San Marco» zum Restaurant. Es gibt Risotto und einen Roten aus der Region. Ein geselliger Abschluss nach einem gemeinsamen Wandertag. Fehlt nur noch der Kaffee. Den richtigen zu bestellen ist hier aber hohe Kunst. Wenn Sie nun wissen möchten, was es mit «Nero», «Capo», «Deca» und «Goccia» auf sich hat, sollten Sie nach Triest reisen.
«Triest ist von einem ruppigen Charme. Je nach Gusto, wie ein Gassenjunge derb und gierig, mit himmelblauen Augen und Händen, zu gross, eine Blume darzureichen, wie eine Liebe voller Eifersucht.» – Umberto Saba